INTERVIEW ‘‘Der Strukturwandel bleibt die Aufgabe’’

METROPOLERUHR

Michael Schwarze-Rodrian hat Landschaftsplanung studiert, leitet seit 2012 das Referat Europäische und regionale Netzwerke Ruhr und nimmt die Aufgaben des EU Beauftragten des Regionalverbands Ruhr (RVR) wahr. Er arbeitet seit Mitte der 80er Jahre im Ruhrgebiet. Im Mittelpunkt seiner Tätigkeiten stehen Strategien und Projekte der nachhaltigen Stadt-, Standort- und Landschaftsentwicklung. Im polizentrischen Ballungsraum Ruhrgebiet ist dies immer verbunden mit der Kooperation und Moderation kommunaler und regionaler Partner.

Claas Beckord hat an der WWU Münster Geographie studiert und an der TU Chemnitz promoviert. Von 2007 bis 2014 war er beim Regionalverband Ruhr im Referat Regionalentwicklung beschäftigt und leitete dort ab 2010 das Team Masterplanung. Im Mittelpunkt seiner Tätigkeit standen neben regionalanalytischen Fragestellungen vor allem die Konzeption, strategische Weiterentwicklung und Umsetzung des Regionalen Diskurses. Heute leitet er bei der Stadt Osnabrück das Team Strategische Stadtentwicklung und Statistik.


Wofür steht die MetropoleRuhr?  

Die Metropole Ruhr steht für einen hochkomplexen und differenzierten Ballungsraum. Der Versuch einer Beschreibung mit wenigen Merkmalen muss darum scheitern. Ein Ballungsraum ist per Definition kein Monoweg eines Einzelnen, einer Gruppe oder eines Wirtschaftszweiges.  Früher meinte man uns mit zwei Merkmalen als industriellen und dicht besiedelten Agglomerationsraum - beschreiben zu können – was auch schon nicht stimmte. Wir waren und sind ein sehr viel differenzierteres Gebilde. Dabei zeichnet uns eine starke Kohäsion - also das Leben mit großen Gemeinsamkeiten und Unterschieden - aus.

Was sind im Moment die wichtigen laufenden Projekte und Prozesse in der Region?

Inhaltlich gilt es den Strukturwandel fortzuführen und zu gestalten. Dabei sind die Defizite, die sich räumlich der ökonomischen Transformation von Süden nach Norden folgend verlagert haben, die zentrale Herausforderung. Ökonomisch ist der Strukturwandel bereits weit vorangeschritten, hingegen ist er sozial, städtebaulich und kulturell an vielen Stellen noch sehr präsent. Das heißt im Strukturwandel haben wir es immer mit drei Zuständen eines hochkomplexen Systems mit 5 Mio. Einwohnern und 53 Städten zu tun: mit der Vergangenheit, mit den verschiedene Zwischenzuständen und mit ebenso vielen Zukünften.

Als formaler Prozess steht der neue Regionalplan auf der Agenda, der bis 2017 erstmalig in dieser Form entstehen soll. Dieser wird von einem umfangreichen Diskussionsprozess um die Zukunft der Metropole Ruhr begleitet, der unter dem Titel „Regionaler Diskurs“ vielfältige informelle Formate wie z.B. den Ideenwettbewerb Zukunft Metropole Ruhr“ bündelt.

Als weitere informelle und freiwillige aber sehr gut organisierte und regelmäßige Zusammenarbeit sind zum einen das „Konzept Ruhr“, in dem Stadtentwicklung und Standortentwicklung zusammengedacht werden, und an dem 41 Städte gemeinsam arbeiten, und zum anderen Programm „Wandel als Chance“, das als gemeinsames Projekt von 17 Städten eine nachhaltige Gestaltung des Endes des Steinkohlenbergbaus bis 2018 lokal vor Ort organisiert zu nennen.

Gibt es über den Strukturwandel hinaus (neue) große mittel- oder langfristige Themen? 

Die Themen der Gegenwart sind sicher auch die Themen der Zukunft. Es gibt nach wie vor eine hohe soziale Dringlichkeit bezogen auf Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf (Armut, Bildungsrückstand, Langzeitarbeitslosigkeit) in denen, das was wir die soziale Durchlässigkeit nennen, gefährdet oder nicht gegeben ist. 

Als große räumliche Aufgabe ist der Emscher Landschaftspark, an dem seit 25 Jahren gearbeitet wird, noch nicht abgeschlossen. Die Qualifizierung der Stadtlandschaft mit dem Parallelprojekt des Umbaus der Emscher als Wassersystem für insgesamt 4.3 Mrd. € kann man zwar an vielen Nebenläufen bereits erleben, am Hauptlauf wird es jedoch noch bis 2027 dauern, ehe der Fluss wieder vollumfänglich als landschaftliches Element im Stadtraum genutzt werden kann.

Zum Strukturwandel gehören aber genauso die wirtschaftliche Diversifizierung und die kulturellen Schwerpunkte; dazu gehören die Universitäten, die in den 60er Jahren entstanden sind und die sich nun in der Universitätsallianz einem weltweiten Wissenschaftswettbewerb stellen.

Nicht zu vergessen Themen wie Verkehr und Energie, wobei sich bei der Energie langsam andeutet, dass hier noch größere Umwälzungen bevorstehen. In unserer Region sind die Betriebssitze der Atom- und Kohlekonzerne, deren Wirtschaftsmodell, sei es durch gesellschaftliche Veränderungen oder das Haltbarkeitsdatum der fossilen Energiegewinnung zur Zeit unter Druck steht. Wenn diese Firmen in Schieflage geraten, dann trifft dies die Region doppelt. Zum einen klassisch auf der Versorgungsebene, aber insbesondere auch finanziell, da viele Kommunen historisch bedingt große Aktienpakete der entsprechenden Versorger besitzen; unmittelbar fallen die Gewinne und Dividenden weg und mittelbar damit auch das Gewerbe- und letztlich auch das Einkommensteueraufkommen.

Zuwanderung und Integration war und bleibt ein Thema. Die polyethnische Herkunft der Menschen war in der Vergangenheit ein Thema und sie ist es auch heute. Eine Stärke des Ruhrgebiets ist seine erarbeitete und erlernte Integrationskraft. Unsere Region hat sowohl ethnisch als auch bezüglich unterschiedlichster Konfessionen eine gewaltige Integrationsleistung erbracht. Eine Fähigkeit, die zum Beispiel bei der Zusammenführung evangelischer und katholischer Zechen in der RAG entwickelt wurde.

Es gibt also viele große Prozesse, die gleichzeitig stattfinden und um dies noch mal aus Ingenieurssicht zu verdeutlichen: Die Transformation der Emscher ist noch lange nicht abgeschlossen, wir sind bei ca. 60% des Umbaus. Bis wieder ausschließlich Regenwasser in einem natürlichen Flussbett fließt und die Ufer zugänglich sind, wird es noch mehr als ein Jahrzehnt dauern. Damit ist klar, dass im Moment keine Notwendigkeit aber auch keine Möglichkeit gibt, große oder gar neue Megaprojekte anzuschieben oder zu entwickeln.

Welche Rolle und Funktion hat bei diesen Prozessen die MetropoleRuhr als regionaler Akteur und Regisseur? Wie würden Sie die Konstitution der MetropoleRuhr beschreiben.

Die MetropoleRuhr hat als Dachorganisation zum Ziel neue wirtschaftliche Aktivität in neuem räumlichen Kontext zu stimulieren und zu organisieren. Dabei geht es uns um eine internationale Neupositionierung als Metropole. Gleichzeitig gehen wir damit aber auch den Weg des Strukturwandels seit der IBA konsequent weiter und profitieren von unserer lange Erfahrung auf allen Ebenen. Wir haben ein gutes Netzwerk auf politischer und administrativer Ebene. 

In einem Gebiet mit großen lokalen Unterschieden in der Entwicklungsdynamik spielen wir unsere starken Punkte konsistent aus: Offene und gut gesteuerte Prozesse, Vertrauen, Freiwilligkeit, Kooperation, Gute Datengrundlagen, starke Identität und Integrationsleistung. Wir sind eine stabile Einheit mit starker Organisation und guten Instrumenten.

Der Regionalverband als wichtiger Träger der Regionalentwicklung ist von seiner Gremienstruktur sehr breit aufgestellt, mit der Politik, Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern als Mitgliedern.

Die gemeinsame Wirtschaftsförderung MetropoleRuhr ist eine 100 %  Tochter des RVR. Sie operiert national und international auf den Leitmärkten, um die sich das Ruhrgebiet „kümmern“ muss. Hier agieren die Kommunen gemeinsam nach außen, hingegen ist das operative Geschäft des Pflegens eines Wirtschaftsstandortes nach wie vor lokal organisiert, dies sehen wir als Stärke, weil nur lokal die nötige Kenntnis über die individuelle Situation der Betriebe vorhanden ist.

Parallele operationelle Strukturen gibt es auch beim Tourismus, hier tritt national und international das Ruhrgebiet zusammen auf, die Ruhr Tourismus GmbH organisiert diese gemeinsame Außendarstellung bereits seit 8 Jahren sehr erfolgreich. Auch die Kultur Ruhr GmbH die z. B. die Ruhrtrienale organisiert, ist im Prinzip so konzipiert: Nach Außen gemeinsam agieren und im Inneren Zusammenspiel der Städte der gesellschaftlichen Kräfte das Freiwilligkeitsprinzip pflegen.

[...]

 

Interview conducted by Helmut Thoele and Matthias Rottmann
26th of March / 10th of April 2014 Essen

 

Full version of the interview can be downloaded below (PDF)



Share on Facebook Share on twitter Email